Thema verfehlt? Mit einem informativen und ungewöhnlich polarisierenden Vortrag sorgte Dr. Ralph Ghadban am 3. November 2023 im Reimarus-Saal für einen lebhaften Abend.
Die gut besuchte Veranstaltung fand in Kooperation der Nordkirche und der Landeszentrale für politische Bildung mit der Patriotischen Gesellschaft statt. Souverän und kenntnisreich moderierte Pastorin Hanna Lehming, Beauftragte für den Mittleren Osten, die spannende Diskussion. In seinem Vortrag bezog sich Ralph Ghadban, 1949 im Libanon geborener und seit 1972 in Berlin lebender Politologe, Publizist und Migrationsforscher, auf Studien der Kulturanthropologie zur Erforschung arabischer Clans – und auf seine Erfahrung als Leiter einer Sozialberatungsstelle für arabische Migranten in Berlin.
Ghadban wies auf die Bedeutung von Landschaft und Klima für die Geschichte weitverzweigter Familienclans hin. Insbesondere bei arabischen Nomaden sei diese Lebensform Voraussetzung für das Überleben. Clanstrukturen werden bis heute bestimmt von Patriarchat, Endogamie, strengen Heiratsregeln und einer auf die Scharia gestützten Rechtsordnung mit Selbstjustiz und Blutrache. Mit den Regeln und Freiheiten einer Demokratie seien Clankulturen unvereinbar. Für das Entstehen von Parallelgesellschaften machte Ralph Ghadban die spärliche Einwanderungskultur im Deutschland der 1960er und 70er Jahre verantwortlich. Speziell in Berlin habe es bis Anfang der 80er Jahre keine Sprach- und Bildungsangebote für Türken und Araber gegeben. So hätte sich Stammesdenken ansiedeln können.
Die Frage „Clan-Kriminalität in Deutschland?“ streifte Ghadban nur am Rande. Berichte über organisierte Kriminalität arabischer Großfamilien-Clans in Berlin, dem Ruhrgebiet und Bremen hatten die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Hierzu versicherte Claus Cortnumme, Leitender Direktor des Hamburger Landeskriminalamts, dass es eine vergleichbare Situation in Hamburg tatsächlich nicht gebe. Es sei hier bislang kein einziger Fall von organisierter Kriminalität durch einen arabischen Clan bekannt.
Auf Widerspruch im Publikum stieß Ghadban dann mit provokanter Pauschalkritik an der aktuellen Zuwanderungspolitik. Gelingende Integration von Migranten gehöre längst zum Alltag in Deutschland, wurde ihm entgegengehalten. Dr. Arnold Alscher, Sprecher des Arbeitskreises Interkulturelles Leben, betonte, dass die Zivilgesellschaft den widersprüchlichen Wahrheiten nicht ausweichen dürfe. Demokratie brauche den unabhängigen, freien Informations– und Meinungsaustausch über konkurrierende Themen, Erwartungen und Positionen – auch wenn es unbequem wird.
Dr. Eva-Maria Oehrens