75 Jahre alt wird das Grundgesetz in diesem Mai und mit ihr die Bundesrepublik Deutschland. Es waren die stabilsten, friedlichsten und wohlhabendsten Jahre in der ganzen deutschen Geschichte, gekrönt durch die Wiedervereinigung, herbeigeführt durch die friedliche Revolution in der DDR.
Und doch mehren sich die Stimmen, die von einer Krise der Demokratie sprechen. Im Arbeitskreis Demokratie beschäftigen wir uns mit dieser Frage. Unsere Wahrnehmung ist, dass gegenwärtig weniger die individuellen Freiheitsrechte bedroht sind, die das Grundgesetz garantiert, also nicht seine liberalen Elemente, sondern sein demokratischer Charakter, die Volkssouveränität, das, was Abraham Lincoln "government of the people, by the people and for the people" nannte.
Die Parteien verlieren an Zustimmung und Vertrauen, die Parlamente haben an Autorität in der Bevölkerung eingebüßt und die Regierung wird als entscheidungsschwach und handlungsunfähig wahrgenommen. Beträchtliche Teile des Volkes sehen sich nicht mehr repräsentiert, setzen auf Rechtspopulismus oder verfallen in Passivität.
Das Grundgesetz hat in Sorge vor einer ähnlichen Entwicklung wie in der Weimarer Republik die Mitwirkungsrechte der Bevölkerung aber weitgehend auf die Parteien konzentriert, Elemente der direkten Demokratie wie Volksabstimmungen fast ganz ausgeschlossen und der lokalen Demokratie durch das Steuerrecht und die Vormundschaft der Länder nicht besonders großen Spielraum gegeben.
Gleichzeitig steht das Land wie alle Länder der Erde vor einer der schwersten Herausforderungen überhaupt: dem klimagerechten und ökologieverträglichen Umbau der Industriegesellschaft und der auf ihr beruhenden Lebensweise. Da drängt sich über alle aktuellen Krisen hinaus die Frage auf: Kann das unsere Demokratie? Wo muss sie verbessert und gestärkt werde?
Hier kann nur angedeutet werden, in welcher Richtung wir suchen und diskutieren. Insgesamt muss das Bürgerengagement gestärkt, die Bereitschaft im und für das Gemeinwesen tätig zu werden. Bürgerengagement kann sich aber nur bilden durch Mitwirkungsrechte und die Erfahrung, etwas bewegen zu können. Ansatzpunkte dafür gibt es in der Zivilgesellschaft, aber die sind meist beschränkt auf eine "Beteiligungsaristokratie". Soll daraus mehr werden, müssen mehr Rechte her. In Hamburg setzen wir auf Stadtteilräte in allen Quartieren, auf Bürgerräte, eingesetzt durch Losverfahren. In der Republik insgesamt auf mehr Formen direkter Demokratie in Ergänzung zur repräsentativen und auf eine Stärkung der lokalen Demokratie. Sympathien haben wir auch für die Einführung eines verpflichtenden Bürgerjahrs für Alle.
Natürlich wissen wir, dass wir das alles nicht durchsetzen können. Aber wir diskutieren die Möglichkeiten, im Lichte unserer Erfahrungen und Meinungen und vor dem Hintergrund zahlreicher Lektüren zum Thema.
Dr. Willfried Maier, 1. Vorsitzender und Sprecher des Arbeitskreises Demokratie
Der Arbeitskreis Demokratie beschäftigt sich mit der Frage, wie in Hamburg gelebte Demokratie und aktive Bürgerschaft vorangebracht werden können. Weitere Informationen zum Arbeitskreis Demokratie finden Sie hier. Neue Teilnehmer*innen sind herzlich willkommen!
- Copyright© Dr. Willfried Maier