Lesekreis „Türkische Literatur" Mario Levi: Istanbul war ein Märchen

Haus der Patriotischen Gesellschaft

Trostbrücke 4, 2. Stock
Gesellschaftsraum
20457 Hamburg
Deutschland

Einführung und Moderation: Detlef Rönfeldt (Sprecher des Lesekreises)

Im Rahmen unserer Lesereihe möchten wir uns diesmal mit dem Roman Istanbul war ein Märchen von Mario Levi beschäftigen.

Im Klappentext zu diesem 1999 im Original und 2008 in der deutschen Übersetzung von Barbara Yurtdaş bei Suhrkamp erschienenen Buch heißt es:

"Seit mehr als 500 Jahren haben Juden aus aller Welt am Bosporus eine neue Heimat gefunden. Sie pflegen ihre Bräuche, feiern ihre Feste, erinnern an die Verfolgung und das erlittene Leid. Ausgehend von seiner eigenen Familie und deren Geschichte, entwirft Levi ein Kaleidoskop menschlicher Schicksale. Es sind Geschichten von gelebten und ungelebten Träumen, von erfüllten und unerfüllten Hoffnungen. Levi erzählt von Madame Estrella, die ihre Familie verlässt, um einen Muslim zu heiraten; von Monsieur Jacques, der mit seinem patriarchalisch geführten Laden eine vielköpfige Familie ernährt, und von dessen Bruder Nesim, den seine Liebe zur deutschen Kultur nicht vor dem KZ bewahrt; von Robert, dem Spieler und Lebemann, und der kinobesessenen Tilda; von aufopferungsvollen Frauen wie Madame Roza, Eva und Rahel, die aus ihrem Schweigen Kraft gewinnen, und von jungen Leuten, die sich der Tradition entziehen und auswandern."

Mario Levi wurde 1957 in Istanbul geboren und starb dort nach langer Krebserkrankung im Januar 2024. Die Welt der Familie, aus der Mario Levi stammte, war die Welt der sephardischen Juden, die im Gefolge der Reconquista von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden, im Osmanischen Reich Zuflucht fanden und Istanbul zu ihrer neuen Heimat und einem wichtigen Zentrum der jüdischen Diaspora machten.

Seine Romane sind voll von Geschichten über diese Stadt und die Menschen, die dort leben. Als Sohn jüdischer Eltern waren es vor allem die Minderheiten, die ihn interessierten – neben den Mitgliedern der eigenen, weit verzweigten jüdischen Familie auch die Armenier und die Griechen, die der Stadt, vor allem dem Stadtteil Pera, der heute Beyoğlu heißt, als Schmelztiegel verschiedener Kulturen jahrhundertelang ein ganz eigenes Gepräge gaben. Die Pogrome des Jahres 1955, die diese Vielfalt gewaltsam beendeten – Levi nennt sie "das schreckliche Erwachen" – sind nicht das eigentliche Thema von "Istanbul war ein Märchen", aber sie spielen im Roman eine wichtige Rolle – als Endpunkt einer Kultur, die im Rückblick wie ein orientalisches Märchen wirkt.

Sechs Jahre hat Mario Levi an seinem mehr als 800 Seiten langen Roman gearbeitet. Wer eine straff erzählte, geradlinige Geschichte erwartet, wird enttäuscht sein. Wer sich aber für die Vielfalt des Lebens in der Vielvölkerstadt Istanbul interessiert, mit all ihren Facetten, Widersprüchen und Geheimnissen, wird reich belohnt. Mit viel Empathie, großer Genauigkeit und gewürzt mit einer Prise Melancholie beschreibt Levi das Leben und die Lebenswelt seiner Figuren, ihre Wohnungen, die Stadtviertel, in denen sie sich bewegen, ihre Liebe, ihren Schmerz und ihre Verluste. Er entfaltet dabei einen vielfach geschichteten Erzählraum, der von westlichen und orientalischen Einflüssen gleichermaßen geprägt ist und gelegentlich an kubistische Gemälde denken lässt. Das ist keine ganz leichte Lektüre. Wie es Mario Levi trotzdem gelingt, seine Figuren lebendig zu machen und den Leser in die Welt Istanbuls zwischen 1920 und 1960 eintauchen zu lassen, ist bemerkenswert.

Wenn Sie Lust haben, mit uns über "Istanbul war ein Märchen" zu diskutieren, melden Sie sich bitte an – gern auch, wenn Sie den umfangreichen Roman nicht oder noch nicht ganz lesen konnten. Wir möchten den Kreis der Teilnehmer im Interesse eines intensiven Austauschs allerdings auch in diesem Jahr wieder relativ klein halten. Wir bitten um Verständnis.


Die nächsten Bücher auf unserer Leseliste:

  • Sankofa von Doğan Akhanlı – 18. Februar

  • Suche nach den Spuren eines Selbstmords von Tezer Özlü – 18. März

  • Der Fischer und der Sohn von Zülfü Livaneli – 15. April

  • Die rothaarige Frau von Orhan Pamuk – 20. Mai

  • Die Romantiker von Nazım Hikmet – 17. Juni

  • Flucht von Hakan Günday – 16. September

  • Zwei Mädchen von Perihan Mağden – 21. Oktober

  • Requiem für eine verlorene Stadt von Aslı Erdoğan – 18. November

  • Schnee von Orhan Pamuk – 16. Dezember