Lesekreis Türkische Literatur: Murathan Mungan „Tschador“

Haus der Patriotischen Gesellschaft

Trostbrücke 4, 2. Stock
Gesellschaftsraum
20457 Hamburg
Deutschland

Einführung und Moderation: Detlef Rönfeldt (Sprecher des Lesekreises)

Diesmal wollen wir uns mit dem Roman "Tschador" des Autors Murathan Mungan beschäftigen.
Ein junger Mann kehrt nach Jahren des Exils in sein Heimatland zurück. Ängstlich, aber voller Hoffnung, begibt er sich auf die Suche nach den Menschen, die er einst geliebt hat: die Mutter, die Schwester, seine Geliebte. Ein neues Regime ist an der Macht, das Land ist sichtbar vom Krieg zerstört, er erkennt es kaum wieder. Er irrt von Tür zu Tür, von Stadt zu Stadt. Die Orte seiner Kindheit und Jugend scheinen unauffindbar zu sein. Was ihn am meisten beunruhigt, ist der Anblick der verschleierten Frauen, deren Gesichter hinter dem Tschador verborgen sind und die in ihm den Eindruck erwecken, als wäre damit die "Hälfte des Lebens" ausgelöscht.
Das ist – kurz zusammengefasst – der Inhalt des Romans "Tschador" von Murathan Mungan, mit dem wir uns am 15. Oktober beschäftigen wollen, wenn wir zum zweiten Mal nach der Sommerpause zu unserem Lesekreis Türkische Literatur treffen.

Der Roman, 2004 im türkischen Original erschienen und 2008 in deutscher Übersetzung, sei ein "schmales, hochkonzentriertes und komplexes Buch", "das minuziöse Protokoll einer Desillusionierung", meinte Christoph Schröder damals, einer der Kritiker, die das Buch enthusiastisch besprachen. Es war das Jahr, als die Türkei Gastland der Frankfurter Buchmesse war und die türkische Literatur kurzzeitig in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit geriet. 

Und Iris Radisch schrieb in ihrer ZEIT-Rezension: "Mungan ist der Autor einer atemlosen Verlorenheit und zerbrechenden Gegenwart, einer aus den aktuellen westeuropäischen Üblichkeiten vollkommen herausfallende betörende Mondstaub-Prosa." Auch sie zeigte sich beeindruckt von der archaischen Wucht und gleichzeitigen Modernität von Mungans Roman, dessen Sprache sie als "leer geräumt und apokalyptisch" empfand und sie in ihrer knappen, unsentimentalen Genauigkeit an Autoren wie Albert Camus und Maurice Blanchot denken ließ. Ein Gegenmodell zu Orhan Pamuks weit ausholenden Romanen, meinte sie, aber in seiner Bedeutung für die türkische Gegenwartsliteratur durchaus damit vergleichbar.

Verena Mayer schrieb in der Süddeutschen Zeitung, "Tschador" bringe den Fundamentalismus treffender auf den Punkt als jede Kopftuch-Debatte. Auch sie lobte die zurückhaltende, andeutende Sprache von Murathan Mungan, die dennoch mit kraftvollen Bildern aufwarte, und zeigte sich begeistert von diesem Roman, der in einem namenlosen Land spielt, in dem die "Soldaten des Islam" die Macht übernommen haben. Angesichts der Situation im Nahen und Mittleren Osten scheint das Buch heute noch aktueller zu sein als bei seinem Erscheinen.

Murathan Mungan gilt als einer der vielseitigsten und experimentierfreudigsten Autoren der türkischen Gegenwartsliteratur und ist als Lyriker, Theaterautor und Romancier hervorgetreten.1955 in Istanbul geboren, verbrachte er Kindheit und Jugend in Mardin im Osten der Türkei. Zum Studium der Theaterwissenschaft zog er nach Ankara. Er verwertet Stoffe aus Liedern, Sagen, Märchen und orientalischen Legenden. Poesie und Politik, Tradition und Moderne sind bei ihm untrennbar miteinander verbunden. Er lebt – wie man lesen kann – seine Homosexualität bewusst offen aus und wird in der Türkei fast wie ein Popstar verehrt.

"Tschador" ist im Blumenbar Verlag erschienen.

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Die weiteren Romane auf unserer Leseliste:

Nedim Gürsel: Der Sohn des Hauptmanns (19. November)
Mario Levi: Istanbul war ein Märchen (17. Dezember)