Lesekreis Türkische Literatur: Nedim Gürsel "Allahs Töchter", 18.4.23, 19 Uhr

Haus der Patriotischen Gesellschaft

Trostbrücke 4, 2. Stock
Gesellschaftsraum
20457 Hamburg
Deutschland

Lesekreis "Türkische Literatur"
Nedim Gürsel: "Allahs Töchter"

am Dienstag, 18. April 2023, 19:00 Uhr
im Haus der Patriotischen Gesellschaft, 2. OG, Gesellschaftsraum

Trostbrücke 4 (Kontoreingang), 20457 Hamburg

Einführung und Moderation: Detlef Rönfeldt (Sprecher des Lesekreises)

Am 18. April wollen wir uns im Rahmen des Lesekreises "Türkische Literatur“ mit dem 2008 im türkischen Original und 2012 in deutscher Übersetzung erschienenen Roman "Allahs Töchter" von Nedim Gürsel beschäftigen.

Nedim Gürsel wurde 1951 in Gaziantep im Südosten der Türkei geboren. Er schreibt seit den späten 60er Jahre und gilt – neben Orhan Pamuk und Yaşar Kemal – als einer der wichtigsten türkischen Gegenwartsautoren. Seit seine Bücher nach dem Militärputsch von 1980 verboten wurden, lebt und arbeitet er in Paris. Nach dem Erscheinen von "Allahs Töchter" (2008) wurde er wegen "Verunglimpfung der religiösen Werte des Volkes" angeklagt, im Jahr darauf allerdings freigesprochen.

"Allahs Töchter", einer von vier in deutscher Sprache vorliegenden Romanen Nedim Gürsels, ist ein weit in die Geschichte zurückgreifender autobiografischer Entwicklungsroman, in dem sich "drei Kindheiten" ein Stelldichein geben – wie es im Klappentext des Suhrkamp-Verlags heißt: die Kindheit des Erzählers, die Frühzeit des Islam und die Jahre, in denen die moderne Türkei auf den Trümmern des zerfallenen Osmanischen Reiches entstand.

Nedim Gürsel erzählt von seiner Kindheit in den 1950er Jahren, von einem Jungen, der bei seinen tiefgläubigen Großeltern in Manisa, einem Ort in Südanatolien, lebt. Er erzählt, davon, wie einfühlsam der Großvater den kleinen Nedim in die Welt des Islam einführt; davon, wie stark die Märchen, Mythen und Legenden aus dem reichen Geschichtenvorrat des Islam ihn als Kind beschäftigt, geplagt und geprägt haben; und davon, wie seine Liebe zum Koran erwachte.

Er erzählt – auf einer zweiten Erzählebene – aber auch von der "Kindheit" des Islam, als "Allahs Töchter", die vor Mohammeds Zeit von den arabischen Stämmen in der Kaaba in Mekka als Göttinnen verehrt wurden, dem Monotheismus weichen mussten und im Kampf Mohammeds für den einen Gott zerstört wurden. Nedim Gürsel lässt Lat, Manat und Uzza – so heißen die drei Töchter Allahs  – in eigenen Kapiteln zu Wort kommen und in einer Mischung aus Bedauern, Eifersucht, Neid und Faszination über ihr Schicksal klagen. Damit thematisiert er eine vorislamische arabische Frömmigkeit, die "als Götzendienst" durch den Islam verdrängt wurde; eine Frömmigkeit, in der üppige Göttinnen eine größere Rolle spielten als die strengen Regeln einer monotheistischen Offenbarungsreligion. Vermutlich ist das der Grund für die Vorwürfe, die gegen Nedim Gürsel erhoben wurden.

Gürsel erzählt in seinem vielschichtigen Roman, der Themen, Zeitebenen und Tonlagen über große Zeiträume hinweg virtuos verknüpft, aber auch eindrucksvoll von den Erfahrungen des Großvaters, der im Ersten Weltkrieg als osmanischer Soldat an der Seite des Deutschen Reichs gegen die europäischen Großmächte und ihre arabischen Verbündeten kämpfte und dabei einen Arm verlor. In seinen Erinnerungen erfahren wir viel vom Untergang des Osmanischen Reichs und den Geburtswehen der modernen Türkei. Dabei ist "Allahs Töchter" aber alles andere als ein historischer Roman. Er ist, wie Sabine Berking in der FAZ formulierte, "eine subtile und melancholische Erkundung des Glaubens und des Glaubensverlusts", der zugleich – so Monika Carbe in der Neuen Zürcher Zeitung – "aus seiner Absage an die Religion wie an den Nationalismus keinen Hehl macht."

Auch diesmal wollen wir den Kreis der Teilnehmer wieder auf etwa 15 bis 16 Personen begrenzen. Wir bitten deshalb um Ihre Anmeldung bis zum 17. April.

Die nächsten Bücher auf unserer Leseliste:
Ayşe Kulin: Der schmale Pfad (16. Mai)
Elif Shafak: Schau mich an (20. Juni)

Für die zweite Jahreshälfte sind geplant:
Fatma Aydemir: Dschinns (19. September)
Ahmet Ümit: Nacht und Nebel (17. Oktober)
Murat Uyurkulak: Zorn (21. November)
Aşlı Erdoğan: Die Stadt mit der roten Pelerine (19. Dezember)